Die Pandemie im Seniorenheim: Birgitt Jünemann berichtet über ihr Corona-Management
Schaut Birgitt Jünemann auf die Corona-Pandemie zurück, dann gibt es durchaus einen Aspekt, dem sie etwas Positives abgewinnen kann: „Gleich zu Beginn haben wir die Arbeit so organisiert, dass wir den Angehörigen feste Sprechstunden angeboten haben“, sagt die stellvertretende Geschäftsführerin des Seniorenheims Bachstraße. Auch wenn sich zunächst nicht alle an die Regel hielten, so konnte sie doch endlich einmal die Arbeit weitgehend ohne ständige Unterbrechung erledigen. „Weil sich das bewährt hat, werden wir diese Regelung wohl auch beibehalten“, sagt Jünemann. Sie hat auch das Herunterfahren im privaten Bereich noch gut in Erinnerung.
Strikt abgeschottet
Im Rückblick aber überwiegt vor allem die Angst davor, das Virus unerkannt ins Seniorenheim zu bringen. „Wir haben uns deshalb strikt abgeschottet“, sagt sie und fügt hinzu, viele Kollegen hätten sich auch im privaten Umfeld eingeschränkt. Sie habe beispielsweise genau überlegt, wo sich unkalkulierbare Risiken befänden. „Ganz klar: Supermärkte gehören für mich dazu“, sagt sie und fügt hinzu, wegen der oft schmalen Gäng ein den Märkten nutze sie bis heute für das Einkaufen die Metro. Dort gebe es immer genügend Raum, um anderen auszuweichen – und trotz der inzwischen zweiten Impfung halte sie an der Gewohnheit weitgehend fest.
Keine Treffen mit Freunden, Abstand zu den Kollegen, keine Besuche mehr auf den Stationen: Jünemann listet detailliert auf, wie sie die Kontakte auf ein Minimum reduziert hat, um die Bewohner zu schützen. Gerade deshalb haften ihr zwei Begebenheiten, die sich in Varianten wiederholt haben, noch deutlich in Erinnerung: „Nachdem wir das Haus für Besucher geschlossen hatten, haben viele Menschen die Bewohner bedauert – angeblich wegen der Einsamkeit“, sagt sie.
Dabei hätten sie weitgehend ihr Umfeld mit Nachbarn, Pflegekräften oder Betreuern behalten, wenn zunächst auch nur auf ihre Station begrenzt. „Es war immer jemand für sie da, im Gegensatz zu den vielen Senioren, die über Tage allein in ihrer Wohnung gesessen haben und zum Teil noch immer sitzen“, sagt sie und der Ärger über die damalige Kritik schwingt weiterhin mit.
Nicht nachvollziehen kann die stellvertretende Geschäftsführerin zudem, weshalb manche Familien sich nicht an die Besuchsregeln halten wollten: „Schon in normalen Zeiten überfordert es die Hochbetagten, wenn mehr als zwei Personen mit ihm oder ihr sprechen.“ Wenn dann noch die räumliche Umgebung sich ändere, bedeute das Stress – erst recht, wenn dann plötzlich ein Dutzend Menschen auf den Senior im Garten oder auf der Terrasse einreden wollen. Dafür Verständnis zu wecken bei Kindern oder Enkelkindern habe viel Geduld und viele Gespräche erfordert. Dass die Mehrzahl der Angehörigen die Regeln respektierten, habe das Team bestärkt: „Diejenigen, die vor Corona kamen, haben den Kontakt gehalten und sich, als es erlaubt war, auch wieder im Freien getroffen.“
Die Vorsicht bleibt bestehen
Ein Geschäft, sagt Jünemann, könne man schließen. Die Pflege aber gehe täglich weiter. Sie spricht von absoluter Erleichterung, als die ersten Schnelltests kamen – und dann gab es den ersten positiven Befund einer Externen: „Plötzlich waren alle wieder wachsam, obwohl die Betroffene ja gar nicht erst ins Haus gekommen war.“ Und dann begann das Warten auf die Impfung. Alle Heime in Langenhagen erhielten Termine, die Bachstraße und ein weiteres Haus standen ganz zum Schluss auf der Liste. Am 4. Februar schließlich setzte das Impfteam die Spritze mit dem Impfstoff von Moderna an, vier Wochen später folgte die zweite Impfung.
Debatte um Umarmungen
„Schon nach der ersten Impfung begann die Debatte mit einigen Angehörigen, warum sie die Mutter oder den Vater nicht in den Arm nehmen dürfen“, erinnert sich Jünemann. Doch auch nach dem zweiten Impf¬termin hielt das Heim an der strikten Regelung fest, lockerte aber das Miteinander im Haus weiter. Gut für die Senioren, die sich nun wieder mehr begegnen. Gut aber auch für die Mitarbeiter, die sich jenseits des Intranets wieder im Freien treffen. „Die Zwischentöne gehen verloren, wenn man dem anderen nicht in die Augen sehen kann“, hat sie festgestellt. Bei der schriftlichen Kommunikation fehle die persönliche Komponenten, dafür überwiege die sachliche.
So richtig aber, schiebt sie hinterher, habe sie die mögliche Freiheit nach der zweiten Impfung für sich noch nicht realisiert – obwohl sie sich nach monatelangen Spaziergängen in der einsamen Leinemasch, nach Backen, Nähen und Gartenarbeit auf einen Restaurantbesuch freut.